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Belarus – ein europäischer Nachbar in Not

Autor: Florian Ziegenbalg

Im Jahr 2000 hatte ich die Gelegenheit, mit einer Gruppe der JEF nach Belarus zu reisen. Wir erlebten damals ein Land in wirtschaftlicher Erstarrung und politischer Unterdrückung, das relativ abgeriegelt vom restlichen Europa war. Dennoch trafen wir viele Menschen, vor allem Jüngere, die sich nach Veränderungen sehnten und auch schon damals für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte auf die Straße gingen. Es war für uns beeindruckend zu sehen, dass sie dies im vollen Risiko taten, verhaftet zu werden. Wir sahen riesige, graue Wohnkomplexe in Minsk, versuchten erfolglos Postkarten am Minkser Hauptbahnhof zu kaufen und waren überrascht, dass Coca-Cola ein Luxusprodukt war und kaum zu bekommen war. An den Ausfallstraßen der größeren Städte gab es Kontrollposten. Bei einem Besuch im Mogilov im Osten von Belarus trafen wir Menschen, die unter den Folgen der Katastrophe von Tschernobyl litten, die Teile von Belarus schwer getroffen hatte. Die Gastfreundschaft und Warmherzigkeit der Belarussen sind mir in bester Erinnerung geblieben. Viele unserer Gesprächspartner blickten damals trotz der insgesamt schlechten Situation optimistisch in die Zukunft.

Zwanzig Jahre später ist Belarus in diesem Sommer in die Schlagzeilen geraten. Wir sehen Bilder von Tausenden von Menschen auf den Straßen, die für Veränderungen, für Freiheit und Demokratie demonstrieren. Das Lukaschenka-Regime versucht, diese mit Gewalt zu unterdrücken und sucht dafür Unterstützung beim mächtigen Nachbarn Russland. In dieser Situation darf die EU nicht beiseite stehen. 

Belarus ist ein direkter Nachbar der EU, es grenzt an Polen und Litauen. Mit beiden Ländern gibt es viele historische Verbindungen. Das Großherzogtum Litauen umfasste vom 14. Jahrhundert bis ins 18. Jahrhundert weite Teile des heutigen Belarus. Ab dem 16. Jahrhundert war es Teil der polnisch-litauischen Union. Nach den polnischen Teilungen Ende des 18. Jahrhunderts kam Belarus unter russische Herrschaft. 1991 wurde Belarus ein unabhängiger Staat. Seitdem wird das Land von Präsident Alexander Lukaschenka regiert. 1994 wurde ein Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen zwischen der EU und Belarus vereinbart. Die EU reagierte auf die zunehmende Verschlechterung der Situation der Demokratie, der Rechtstaatlichkeit und der Menschenrechte in Belarus mit wachsender Kritik, aber auch dem Versuch, die Zivilgesellschaft stärker zu unterstützen. Zudem wurden Sanktionen verhängt. Nachdem die Regierung von Belarus 2015 einige innenpolitische Erleichterungen eingeführt und politische Gefangene entlassen hatte, hob die EU die Sanktionen 2016 auf. Im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik versuchte die EU seitdem, die politische und wirtschaftliche Entwicklung in Belarus zu verbessern. Im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit wurden Infrastrukturprojekte in Belarus von der Europäischen Investitionsbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung finanziert, ein Wirtschaftsdialog ins Leben gerufen und Vorteile beim Handel mit der EU gewährt. In politischer Hinsicht wurde u.a. ein Dialog zu den Menschenrechten gestartet. Über die verschiedenen EU-Mobilitätsprogramme wie Erasmus+ und spezielle Austauschprogramme konnte Studierenden, Auszubildenden, junge Arbeitnehmern und andere Interessierten aus Belarus ein Aufenthalt in der EU ermöglicht werden. Seit Juli 2020 ist ein Visa-Abkommen in Kraft, das es Belarussen wesentlich einfacher macht, Visa für die EU zu erhalten. Am 2. Oktober 2020 verhängte der Rat der EU Sanktionen gegen 40 Personen des Regimes Sanktionen.

Wie soll die EU mit Belarus umgehen? Wie geht es weiter? Wichtig ist vor allem, dass das Interesse für das Land und die öffentliche Aufmerksamkeit erhalten bleiben. Von Brüssel nach Minsk sind es 1.800 km oder zwei Flugstunden, von Brüssel nach Lissabon sind es 2.000 km und 2 Stunden 50 Minuten Flug. Die Situation in Belarus ist eine europäische Frage und sollte entsprechend Priorität in den Außenbeziehungen der EU haben. Leider haben die offiziellen Dialoge mit der belarussischen Regierung keinen Erfolg gebracht. Die Ereignisse nach der Wahl im Sommer sprechen hier eine eindeutige Sprache. Daher war es überfällig, dass die EU endlich Anfang Oktober 2020 Sanktionen beschlossen hat. An diesem Beispiel zeigt sich einmal mehr, dass aufgrund der Einstimmigkeit die EU in außenpolitischen Fragen nur beschränkt handlungsfähig ist. Veto-Positionen einzelner Staaten können konsequente und schnelle Reaktionen der Gesamt-EU verhindern. Es ist aber dennoch wichtig, dass die EU als Ganze handelt und die außenpolitischen Aktivitäten der Mitgliedstaaten in Bezug auf Belarus aufeinander abgestimmt sind. 

Wie soll die EU nun mit dem Lukaschenko-Regierung umgehen? Die Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja hat sich dafür ausgesprochen, alle Dialogversuche mit der Regierung fortzusetzen. Ziel soll ein friedlicher Wandel sein. 

Wichtig in der aktuellen Situation ist, vor allem die Kräfte der Opposition und der Zivilgesellschaft weiter zu unterstützen und ihnen auch moralische Unterstützung zu geben, wie es Bundeskanzlerin Merkel mit ihrem Treffen mit Frau Tichanowskaja getan hat. Die Reiseerleichterung für Belarussen und ihre Teilnahmemöglichkeit an den EU-Mobilitätsprogrammen wie Erasmus+ sollten noch ausgebaut werden. 

Ein Schlüssel für die weitere Entwicklung in Minsk liegt auch in Moskau. Die EU sollte den Druck auf Russland erhöhen, um ein Einlenken von Lukaschenko zu erreichen und die Gewalt gegen demonstrierende Bürger zu stoppen. 

Belarus ist ein europäischer Nachbar, dessen mutige Bürger jetzt unsere Unterstützung brauchen. 

Ein Bericht unseres Mitglieds Florian Ziegenbalg // 11. Oktober 2020

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